Der erste Hauptredner, Klaus Dörner, prominenter Reformer und Vertreter der Sozialpsychiatrie, präsentierte sein Geburtstagsgeschenk - "zum Geburtstag bringt man etwas mit" -, als scharfsinnige und scharfzüngige Auseinandersetzung mit dem Personzentrierten Ansatz unter dem Titel "Beiträge des Personzentrierten Ansatzes zur Gesundung von Person, Wirtschaft und Gesellschaft". Er wolle sich à la Mark Twain in einen Zeitzeugen verwandeln und verstehe sich als "Beobachter der Entstehung der Gesprächspsychotherapie" und "enthusiastischer Freund der Gesprächspsychotherapie". Er schilderte seine jahrelange enge Zusammenarbeit mit Ursula Plog, die ihm den Personzentrierten Ansatz nahe gebracht hatte und leitete über zu einem kleinen Abriss über die Entwicklung der Gesprächspsychotherapie in Deutschland, die er – ebenso wie der 1. Vorsitzende der GwG - als "Symptom des 68er Aufbruchs" versteht.
Klaus Dörner berichtete, wie sich – wesentlich von ihm vorangetrieben -, die Verwahr-Psychiatrie zunehmend zum Sozialraum und zur Psychotherapie hin öffnete. Er erinnerte an die heute historisch anmutende Plattform, in der die GwG, die DGVT und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpsychiatrie in ihrem Engagement für eine Reform der Psychiatrie und für eine Gemeindepsychiatrie zusammen gefunden hatte. Den Personzentrierten Ansatz im sozialpsychiatrischen Bereich reflektierend, ermunterte er die GwG, sich stärker der Ausbildung von Pflegenden zu widmen.
Vom Anderen her denken
Inhaltlich setzte er sich insbesondere mit der personzentrierten Grundbedingung "Verstehen" auseinander. "In der Begegnung begegnen sich Gegner", bemerkte der 77jährige nachdenklich. Er erkenne in dieser Bedingung eine versteckte Ungleichheit, die seiner Meinung nach stets beinhalte: "Subjekt versteht Objekt". Dies stünde im Gegensatz zu dem ihm als Ideal vorschwebenden "wohlmeinendem Verstehen". "Dialog", so sagte er, "bleibt immer das Ideal". Er verwies in diesem Zusammenhang auf das menschliche Bedürfnis nach, "Anerkennung durch andere" bzw. "Bedeutung für andere haben". Dies sei die Kehrseite der so oft kritisierten Selbstverwirklichung des Einzelnen, die in der Öffentlichkeit einseitig wahrgenommen werde. Der englische Begriff "non-direktiv" treffe die von ihm bevorzugte Art des Verstehens besser, er sei weiter gefasst als das Adjektiv "personzentriert". Er beinhalte stets auch den Aspekt, "vom Anderen her zu denken".
Kritisch setzte sich Klaus Dörner mit der zunehmenden Zahl der psychisch kranken Menschen auseinander. Nachdenklich fragte er, wie es zu erklären sei, dass sich bei einer Vervierfachung der als psychisch krank Definierten die Zahl der Psychotherapeuten verachtfacht habe: "Alles vermehrt sich rasant", sagte er und forderte anstelle der Psychisierung eine Art "Philosophierung" der Gesellschaft. Hier sei ein wichtiges Arbeitsfeld für die GwG; GwG-Mitglieder sollten sich an der Gesundung der Gesellschaft beteiligen. Beispielhaft nannte er: Die Wirtschaft humanisieren, die Schulen humanisieren...
Das derzeitige System verführe dazu, so Klaus Dörner, zu glauben, Krisen könnten von Therapeuten "weggemacht" werden. Dadurch jedoch gehe zunehmend die Eigenkompetenz des Menschen verloren. Immer mehr Menschen würden so scheinbar therapiebedürftig, auch in Zusammenhängen, in denen er als Mediziner und Soziologe eine "zu geringe Krankhaftigkeit" attestiere. Lösungen sieht der Vertreter der Sozialpsychiatrie nur in mehr sozialräumliches Denken, weniger in Psychisierung. Die Aufforderung, sich daran zu beteiligen –, die Kompetenz des Personzentrierten Ansatzes hier einzubringen – das verstand Klaus Dörner als besonderes Geburtstagsgeschenk an die GwG.
Über Prof. Dr. Klaus Dörner:
Klaus Dörner, geb. am 22.11.1933, ist der möglicherweise profilierteste Vertreter der deutschen Sozialpsychiatrie. Er studierte Medizin, Soziologie und Geschichte, habilitierte an der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg.
Von 1980 bis 1996 war er ärztlicher Leiter der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie in Gütersloh. An der Universität Witten/Herdecke lehrte er Psychiatrie.
Seit 2003 ist er Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
Spieldauer: ca. 96 Min.
Köln 2010, GwG-Verlag
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