Wie die Zukunft des Personzentrierten Ansatzes und der Gesprächspsychotherapie aussehen könne, skizzierte Michael Halhuber-Ahlmann, 1. Vorsitzender der GwG, in seiner Festrede zum 40-jährigen Jubiläum der GwG. Seine Rede eröffnete er mit der vor 60 Jahren formulierten Kernthese von Carl Rogers, die so aktuell ist wie ehedem: "Das Individuum verfügt potentiell über unerhörte Möglichkeiten, um sich selbst zu begreifen und seine Selbstkonzepte, seine Grundeinstellung und sein selbstgesteuertes Verhalten zu verändern; dieses Potential kann erschlossen werden, wenn es gelingt, ein klar definiertes Klima förderlicher psychologischer Einstellungen herzustellen."
Diese These, so Michael Halhuber-Ahlmann, "war im damaligen Umfeld der akademischen Psychologie und Psychotherapie revolutionär! Und sie ist es bis heute geblieben." Er reflektierte die Nachkriegszeit, die 68er Bewegung, die Zeit des Aufbruchs, also die historischen Hintergründe, vor denen der Personzentrierte Ansatz in den 70er, 80er und 90er Jahren großen Auftrieb erfahren hatte und sich im psychosozialen Bereich dominierend etablieren konnte - "traf er doch auf das Verlangen vieler, vor allem junger Menschen, Formen und Regeln, autoritäre Strukturen und Fassaden zu überwinden und an ihre Stelle Echtheit, Unmittelbarkeit, Selbstbestimmung zu setzen und solidarisches Miteinander zu leben. Es war wichtig, sich nicht nur gegen Altes zu wehren, sondern auch für etwas Neues zu stehen, für Werte einzutreten…. Für den einen oder anderen kam der Personzentrierte Ansatz mit seinem emanzipatorischen Angebot da gerade zur richtigen Zeit."
Viele waren damals von dem Personzentrierten Ansatz begeistert, der von dem Vertrauen in die selbstverantwortete Lebensgestaltung jedes Individuums getragen ist und damit autoritären Lebensmustern ein humanistisches Modell entgegensetzte; dass es eine Therapie gab, die auf Autoritäten verzichtete; begeistert auch davon, dass Carl Rogers mit dem Tabu der Heimlichkeit brach, das damals die Psychotherapie umgab, indem er Beratungs- und Therapiegespräche auf Schellack-Platten aufzeichnete und sie so Außenstehenden zugänglich machte. Das war eine großartige Pionierleistung – erstmals waren exakte Analysen therapeutischer Prozesse möglich, erstmals wurde Psychotherapie Gegenstand wissenschaftlicher Beforschung.
Eine stürmische Entwicklung wird durch das Psychotherapeutengesetz zerstört
Michael Halhuber-Ahlmann blickte zurück auf die Zeit nach der Gründung der GwG im Jahr 1970: Die große Akzeptanz und der breite Zuspruch zu dem Ansatz manifestierte sich in den schnell wachsenden Mitgliederzahlen der GwG. Bis in die 90er Jahre hatte die GwG 8.000 Mitglieder und war damit der größte Fachverband für Psychotherapie und Beratung.
Nach dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999, für das die GwG-Mitglieder mit gekämpft hatten, wurde dieser Entwicklung ein jähes Ende gesetzt. Mit dem Ausschluss der Gesprächspsychotherapie aus der kassenärztlichen Versorgung wurde dem Personzentrierten Ansatz großer Schaden zugefügt und den PatientInnen wurde der Zugang zur Gesprächspsychotherapie versperrt.
Der 1. Vorsitzende der GwG betonte, dass die Gesprächspsychotherapie jahrelang eine tragende Säule in der psychotherapeutischen Vorsorgung war. Mit 55% war sie das am meisten angewendete Verfahren in der Versorgung. Dass gerade die Gesprächspsychotherapie durch das sachwidrige, von Anfang an auf Ablehnung ausgerichtete Vorgehen des Gemeinsamen Bundesausschusses und die damit verbundenen Vorhaltungen fehlender wissenschaftlichen Fundierung schwer beschädigt wurde, wurde durch seine Ausführungen zur Entwicklung der Gesprächspsychotherapie überdeutlich.
Bis zur Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes war das Verfahren an 90 Prozent aller Psychologischen Lehrstühle der Hochschulen etabliert und in der gesamten psychosozialen Landschaft vertreten. Dadurch, dass die Gesprächspsychotherapie von ihren mächtigen Konkurrenten mit vielerlei Winkelzügen aus der vertraglichen Versorgung ausgeschlossen wurde, wurden auch wichtige Strukturen zerstört. Besonders gravierend ist, dass die Heranbildung von gesprächspsychotherapeutischem Nachwuchs durch die blockierte Ausbildung an staatlich anerkannten Ausbildungsstätten vorerst unmöglich ist.
Im Mittelpunkt: Forschung und Ausbildung
Jahrzehntelang, so Michael Halhuber-Ahlmann, stand die wissenschaftliche Forschung zum Personzentrierten Ansatz im Mittelpunkt der Aktivitäten der GwG – ebenso die Entwicklung qualifizierter Ausbildungen und ethischer Richtlinien für die Gesprächspsychotherapeuten und die Personzentrierten Berater. "Viele andere Therapie- und Beratungsansätze haben inzwischen wesentliche Elemente des Personzentrierten Ansatzes in ihre Ausbildungen und Anwendungen übernommen", sagte der 1. Vorsitzende. Darin komme zum Ausdruck, dass das Personzentrierte Konzept allgemeingültige Bedeutung gewonnen habe und aktuell eine Renaissance erfahre. Diese "Übernahmen" seien einerseits ein deutlicher Hinweis auf die überragende Bedeutung und Allgemeingültigkeit personzentrierter Prinzipien und für die Patienten vorteilhaft; berufs- und fachpolitisch fügten sie dem Ansatz und der GwG jedoch weiteren Schaden zu.
Weiterentwicklungen des Personzentrierten Ansatzes
Dies alles sei jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere: Permanent wurde und wird der Ansatz von zahlreichen Wissenschaftlern weiterentwickelt und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten angepasst, nach und nach wurden nicht nur Curricula und Standards – auch für den Bereich der Beratung – ausformuliert, sondern vor allem auch der Personzentrierte Ansatz selbst weiterentwickelt.
Über die fachliche Weiterentwicklung hinaus sei die GwG auch fachpolitisch engagiert und übernehme Verantwortung: Unter der Federführung der GwG ist eine bundesweit von gut 30 Verbänden mitgetragene psychosoziale Plattform für Beratung entwickelt und auf deren Grundlage die Deutsche Gesellschaft für Beratung gegründet worden, in der die GwG eine führende Rolle spielt.
Zukunftsperspektiven – insbesondere für Beratung
Aus diesem Aspekten heraus skizzierte Michael Halhuber-Ahlmann Zukunftsperspektiven für die GwG, insbesondere im Beratungsbereich und auch in unmittelbaren Dienstleistungen für besondere Zielgruppen. Hierzu zählten die bereits begonnenen Projekte wie die Personzentrierte Elternschule, die Personzentrierte Arbeit in Schulen, im Hospiz- und Palliativbereichen, ebenso in Wirtschaft und Verwaltung. Hier sei noch ein weiter Raum – der dank der Kreativität der GwG-Mitglieder nun auszufüllen sei. Als besonders wichtige Zukunftsaufgabe bezeichnete Michael Halhuber-Ahlmann die "Kommunizierbarkeit des Personzentrierten Ansatzes". Es müsste eine allgemeinverständliche Sprache gefunden werden, die der Einmaligkeit des komplexen Ansatzes Rechnung trage, ohne in einen heute verbreiteten Reduktionismus zu verfallen.
Außerdem enthält die DVD die Grußworte von Vorständen und Vertretern diverser Vereinigung, die der GwG nahe stehen. Im Einzelnen von Dr. Julia Kuschnereit (Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen – Rheinland-Pfalz), Dr. Ernst Dietrich Munz (Vizepräsident der Bundespsychotherapeutenkammer), Ulrich Gerth (Vorstand DGfB und Vorsitzender der bke), Prof. Dr. Ludwig Teusch (1. Vorsitzender der ÄGG), Anita Holzer (pca.acp / Schweiz), Norbert Bowe (Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten / bvvp), Prof. Dr. Bernhard Lemaire (1. Vorsitzender der DGSv), Prof. Jochen Eckert (Präsident der Deutschen Psychologischen Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie/DPGG) und Lore Korbei (ÖGWG; Österreich).
In allen Grußworten wurde aufgegriffen, dass der Gesprächspsychotherapie - wie einer der Redner es treffend formulierte - in einem "unwürdigen Schauspiel" die Anerkennung versagt worden sei und den Patienten die Versorgung mit Gesprächspsychotherapie verweigert werde.
Über Dr. Michael Halhuber-Ahlmann:
Ausbildung / Fortbildung, Anerkennungen (aus der Sozialarbeit kommend):
Berufliche Tätigkeiten und Funktionen:
Spieldauer: ca. 96 Min., davon ca. 49 Min. Vortrag von Dr. Michael Halhuber-Ahlmann, ca. 47 Min. Grußworte
Köln 2010, GwG-Verlag
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