Zu viel des Guten? Wie eine ausschließliche Fokussierung auf Ressourcen Empathie verhindern kann
In der Psychotherapie geht es, unabhängig von der jeweiligen Psychotherapieschule, um die (professionelle) Behandlung psychischer Störungen oder psychisch bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln. Dabei spielt das subjektive Erleben einer Person und das damit verbundene Leid eine wichtige Rolle. In den humanistischen Psychotherapieverfahren stehen die Ressourcen einer Person, die Hilfe zur Selbsthilfe, die Unterstützung persönlichen Wachstums im Mittelpunkt. Entsprechend wurde in der Trauma-Forschung dem Phänomen der Resilienz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Resilienz wird dabei nicht einfach als Persönlichkeitsmerkmal begriffen, sondern als komplexer und dynamischer Prozess, sowohl intrapersonal als auch zwischen der Person und ihrer Umgebung.
Der naheliegende nächste Schritt war dann die Frage, ob und wie es gelingen kann, Resilienz zu fördern. Hier setzte auch die „Positive Psychologie“ an mit Übungen und Programmen zur Unterstützung oder Aneignung von Resilienz, die sehr erfolgreich vermarktet wurden. Der Fokus verlagerte sich zunehmend weg vom kurativen Einsatz hin zum Streben nach Selbstoptimierung. Resilienzstärkung geriet zu einer Art Wundermittel für geschäftlichen Erfolg, für Widerstandsfähigkeit gegenüber Katastrophen und in militärischen Kampfeinsätzen (z. B. bei Trainingsprogrammen u. a. bei der US Army und der Bundeswehr).
Noch deutlicher wird diese Verlagerung, wenn man sich den Begriff des Posttraumatischen Wachstums ansieht. Posttraumatisches Wachstum wird zum erstrebenswerten Ziel erklärt nach dem Motto „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ (Nietzsche). Dabei ist die Frage durchaus offen, ob das subjektive Gefühl, nach einer Krise gewachsen zu sein, nicht eher eine Form der Bewältigung ist, eine positive Illusion, als der Ausdruck einer objektiven Veränderung. Viel Kritik hat jedenfalls die Forschung zum posttraumatischen Wachstum auf sich gezogen: angefangen von den Fragebögen, mit denen posttraumatisches Wachstum erfasst wird und die sich ausschließlich auf positive Effekte konzentrieren bis hin zum Fehlen einer Kontrollgruppe und der Tatsache, dass Daten immer erst nach einer Krise, nie aber vorher erhoben werden können, was Verzerrungen in der Selbstwahrnehmung wahrscheinlich sein lässt.
Richtet man den Blick ausschließlich auf die erfolgreiche Bewältigung („Was soll ich daraus lernen?“), wird Leid verwandelt in eine Gelegenheit zur Selbststärkung, die es dankbar anzunehmen und zu nutzen gilt. Erfolgreich zu sein bzw. jemanden zum Erfolg zu verhelfen, wird wichtiger, als mitfühlend zu sein und der Person den nötigen Raum zu geben, sich selbst zu verändern. Mit der starken Betonung des subjektiven Selbst, von Empowerment, Selbststeuerung, Selbstermächtigung verschiebt sich zugleich auch die Verantwortung für Erfolg oder Scheitern auf die einzelne Person. Die implizite Botschaft lautet: Wem es nicht gelingt, das Beste aus jeder Lebenslage zu machen, der hat nicht genug an sich gearbeitet, hat seine Chance nicht genutzt. Menschen in einer Krise oder nach einer traumatischen Erfahrung kann das zusätzlich unter Druck setzen und ihnen die Bewältigung erschweren.
Überlegungen, welches die möglichen strukturellen Ursachen gesellschaftlicher Probleme und sozialer Schieflagen sind und wie sie zu bekämpfen wären, treten gegenüber der Selbststärkung im Sinne einer Immunisierung gegen die Widrigkeiten des Lebens in den Hintergrund. Es führt zu ganz anderen ethischen Implikationen, wenn jeder als seines Glückes Schmied angesehen wird, als wenn Leid auch als Folge unverdienter und ungerechtfertigter sozialer historischer Bedingungen oder als kontingent im Sinne von Glück oder Pech verstanden wird. Es verschließt den Raum für Mitgefühl, Mitleid und Hilfe, für die Frage nach Gerechtigkeit und nach sozialem Ausgleich.
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