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Würdigender Rückblick mit Abschied

Die erste Begegnung mit dem personenzentrierten Ansatz,in den 70ern lapidar GT genannt, hatte ich als Praktikant im Psychologen-Team der Süchtelner LVR-Psychiatrie. Die damalige Diskussion um VT und / oder GT fand ich spannend und lehrreich. Ihre Arbeitsweise, ihr Bemühen um angemessene Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte, Authentizität, Kongruenz in den Interventionen und ihre Suche nach Verständnis für die KlientInnen hatte mich fasziniert und stark beeindruckt...

Prolog

Die erste Begegnung mit dem personenzentrierten Ansatz,in den 70ern lapidar GT genannt, hatte ich als Praktikant im Psychologen-Team der Süchtelner LVR-Psychiatrie. Die Gruppe der Psychologen, Helm, Becker, Lengning, Zerbes, analysierten akribisch ihre Mitschnitte von Gesprächen mit Psychosen  - und Suchterkrankten, die sie Klienten und nicht Patienten nannten. Die damalige Diskussion um VT und / oder GT fand ich spannend und lehrreich. Ihre Arbeitsweise, ihr Bemühen um angemessene Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte, Authentizität, Kongruenz in den Interventionen und ihre Suche nach Verständnis für die KlientInnen hatte mich fasziniert und stark beeindruckt.

 

1.

Nach dem Studium wurde ich Mitglied in der GwG.

Die Tiefenpsychologie machte Platz für die Beschäftigung mit Rogers,Tausch, Gendlin, Maas, Minsel, Langer, Lietar, Sachse, Auckenthaler, Biermann-Ratjen, Binder, Wexler, Truax u.v.a. Die Zeitschrift „Psyche“ wurde ersetzt durch das GwG-Info, die Zeitschrift für Personenzentrierte Psychologie und Psychotherapie und durch die Jahrbücher.

Reinhard Tauschs Psycho-Treffs im Südwestfunk waren ein Muss und wurden auf Video aufgenommen.

 

2.

In der Praxis vom leider verstorbenen Ulrich Esser (seine Publikation zum Erstinterview in der Erziehungsberatung ist nach wie vor richtungsweisend) hatten sich 1979 überraschend viele Fortbildungwillige eingefunden, manche mussten stehen, weil es an Stühlen fehlte oder saßen auf dem Boden. Die AusbilderInnen waren vorerst ratlos, unentschlossen. Gerd Höhner brach die Lähmung mit der Ansage, wer mit ihm arbeiten wolle solle ihm folgen. Als meist kontemplativ Verharrender, war es ein ungewohnter, spontaner Entschluss meinerseits aufzustehen und wohl eine gute, richtige Entscheidung. In der sich zusammen findenden Arbeits- und Ausbildungsgruppe  von Gerd, später Bodo Müller,  entstanden Freundschaften und wertvolle, erfahrungsreiche Lernprozesse fanden statt. 

 

3.

Die im Nachhinein gebildete Regionale Supervisionsgruppe begleitete mich bis zur Qualifikation zum Gesprächspsychotherapeuten. Es war ein langer, mühsamer Prozess bis dahin. Ein Weg, auf dem wir gelegentlich den Eindruck gewannen, dass das Ausbildergremium der GwG ein schwer zugänglich gemachter Subverein ist, der die Messlatten sehr hoch hängt, vielleicht, so unkten wir, um sich ihre Pfründe möglichst lange zu erhalten.

 

4.
Neben der GwG-Ausbildung machte ich auch Fortbildungen in anderen humanistischen Verfahren - Gestalt, Transaktionsanalyse, Bioenergetik, Autogenes Training, Hypnotherapie und wandte mich auch wieder der psychoanalytisch geprägten Salber’schen Morphologie zu, durch die man als Studierende/r zu Köln hindurch musste. In der Arbeit mit Familien waren die Schriften von Adler, Zullinger, Bowlby, Winnicott und der analytischen Kindertherapeutinnen sehr erkenntnisreich. Mit der Distanz aus Praxis und Berufstätigkeit sehe ich, wie bereichernd die Erkenntnisse der unterschiedlichsten Verfahren und Theorien für die helfenden Berufe sind.

Über Workshops mit P. Watzlawick und A.M Sorrentino fand ich über den konstruktivistischen Ansatz recht spät zur systemischen Familientherapie. Interessant der Ansatz von Michael Schnabel, der klientenzentrierte Haltung und systemisches Denken miteinander verbindet. Ein eklektisches Arbeiten im psychosozialen Bereich wird - unausgesprochenerweise - missbilligt. Es gilt nach wie vor die Kunst der reinen Lehre. Nicht desto (Trotz im Wort vermeidend, denn mit Trotz hat diese Haltung nichts zu tun) bin ich überzeugt, dass sich aus den vielen psychologischen Ansätzen, Theorien mit ihren unterschiedlichen Grundprinzipien Anwendungsmöglichkeiten für eine integrative Psychotherapie ergeben können, wie sie in der Beratungsarbeit bereits seit längerem praktiziert werden (ein anderes Thema).

 

5.

Für meine Arbeit bin ich dem personenzentrierten Ansatz am meisten  verpflichtet, verdanke dem Verfahren ein erfolgreiches Ausmaß an Beratungen und Therapien. In der Jugendhilfe gilt: ein Drittel der vorgestellten Fälle werden erfolgreich abgeschlossen, ein Drittel der sich vorstellenden Familien werden nicht erreicht und ein Drittel haben nach Abschluss der Beratung eine lösungsorientierte Perspektive und fühlen sich kurzfristig entlastet. Neben der Beratung von Eltern und der Einzelarbeit mit Jugendlichen zu deren Behandlungsstrategien es in den GwG-Publikationen zahlreiche interessante, lesenswerte Artikel gibt (Schule: Reinhard Tausch, Reinhold Schmitz-Schretzmair, Michael Behr.. Jugendliche: Inghard + Stefan Langer.., Gordon-Elterntraining: Christoph Th. Müller.., usw.), möchte ich kurz auf die kindzentrierte Spieltherapie hervorhebend eingehen, stellvertretend für viele andere Anregungen, die ich über die GwG für meine Arbeit bekommen habe.

In der Kindergruppentherapie, die ich mit einer Kollegin aus dem methodischen Spektrum des Psychodramas durchführte, fand ich die Erkenntnisse von Stefan Schmidtchen, sowie die von Herbert Goetze und Wolfgang Jaede wertvoll (ihre Bücher zur klientenzentrierten Kindertherapie waren für mich zeitweise wie eine Psycho-Bibel; auch Prozessanalysen und Effektivitätsforschungen halfen und lieferten stichhaltige Argumente in der Diskussion mit der Jugendamtsleitung). Ebenso hilfreich waren mir die Publikationen von Claudia Boeck-Singelmann, hier besonders die Interventionsempfehlungen. Erwähnt seien z.B.: auf Gruppenkohäsion achten, Freiräume einrichten, experimentieren lassen ohne zu sanktionieren, Aggressionen aushalten, VEE (Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte), Wertschätzung,  Authentizität, sich die Rolle durch die Klienten zuweisen lassen, Spielregeln erfragen, Ruhe  und Zuversicht vermitteln, Zusammenarbeit anregen, Grenzen setzen, Selbstexploration, Ansprechen und Erfragen von Werturteilen, Differenzierungen anregen: spezifizieren, konkretisieren, generalisieren, Spiegeln von Verhaltensweisen, Anregen zu Denk- und Entscheidungsprozessen, Selbsteinbringung, Reflektieren von Problemlösungsverfahren, Ansprechen und Erfragen von Denk- und Handlungsprozessen zur Zielbestimmung und Zielerreichung, Sprach und Sprechförderung, anerkennen, loben bestätigen... Die Ausführungen von Klaus Fröhlich-Gildhoff zur personenzentrierten Kinderpsychotherapie, Resilienz, zur Depressionen und ADHS im Kindesalter, das Konzept von Franz Kemper zur personenzentrierten Familientherapie, die Erfahrungen von Franz Seifert zum Suizid bei Kindern + Jugendlichen, Else Dörings Überlegungen zur Depression bei Kindern...und viele weitere gäbe es zu erwähnen..

 

6.

Später habe ich es bedauert, dass die GwG vom G-BA der gesetzlichen Krankenversicherung nicht als sozialrechtliches Verfahren zugelassen wurde, ein Umstand, der mich oft empörte und den ich für ungerecht und fragwürdig halte. Jürgen Kriz, Jobst Finke, Doris Müller, Jochen Eckert und der leider früh verstorbene, ehemalige Kommilitone Karl-Otto Hentze,  u.a. haben ausführlich dazu Stellung genommen und sich engagiert gegen den G-BA Beschluss gewehrt, leider ergebnislos, was schlussendlich der GwG ein anderes, mehr auf Beratung und Coaching ausgerichtetes Profil, aufgezwungen hat.

Obwohl in der Jugendhilfe zuhause, hätte ich doch und eventuell eine eigene Praxis eröffnet, wenn ich mit meinen beiden Approbationen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene auch eine sozialrechtliche Zulassung bekommen hätte. Vielleicht?

Jedenfalls behaupten viele Therapeutinnen und Therapeuten anderer Basisverfahren ganz offen, dass sie den pzA in ihrer Tätigkeit unerlässlich finden. Beziehungsarbeit ist das Maß der Dinge und eine notwendige Bedingung, die mitentscheidet, ob eine Therapie  oder Beratung gelingt.

 

7.

In der GwG-Veranstaltung zum 120. Geburtstag von C. R. Rogers habe ich am Eröffnungstag teilgenommen und fand den Vortrag von Hans-Jürgen Luderer über Rogers und seinen Beitrag zur Entwicklung von Beratung und Psychotherapie spannend und informativ. Er enthielt viele Details zu Rogers Leben, die mir bislang unbekannt waren und belegte, wie Rogers’ sozial abgeschottete, lieblose Kindheit, durch ein streng fundamentalistisch-puritanisches   Elternhaus belastet, mit den Bestrebungen und Erkenntnissen seiner psychotherapeutischen Forschungen verwoben waren. Wie sich persönliche Erfahrungen in Sichtweisen und Suchbewegungen äußern können. (Objektivität und Subjektivität wissenschaftlicher Erkenntnisse und Persönlichkeit, ein weiteres anderes Thema).

 

8.

Sehr gefreut haben mich die Ehrungen von Ursula Straumann und Jobst Finke, die mit wohlwollender Laudatio gewürdigt wurden. Ihr  Lebenswerk, das in wenigen Minuten erwähnt und zusammengefasst wurde, beeindruckte mich stark, ahnend, wie viel Kraft, Energie, Disziplin, Arbeit und Verzicht damit verbunden sind. Mir fiel dabei eine Mitteilung von Lilly Kemmler (Psychologie-Professorin aus Münster mit u.a. Publikationen zur Anamnese in der Erziehungsberatung, zum kindlichen Trotz und zum Versagen in der Grundschule) ein. Sie erzählte mir, dass sie mehrmals oft morgens um halb sechs Uhr aufgestanden sei, um ihre Publikationen zu schreiben, ehe sie für die Familie das Frühstück gemacht habe. Auch ganze Sonntage gingen drauf. Ich höre was Frau Straumann und Jobst Finke alles überlegt, veröffentlicht, bewirkt haben, staune, bewundere und bleibe bescheiden. Sehr schön, sie im Zusammenhang mit Rogers und seinem 120. Geburtstag ehren und feiern zu können.

 

9.

Das Seminar von Meike Braun geleitete Forum World Café hat mir viel Spaß gemacht. An unserem Tisch ergab sich ein lebhaftes, interessantes Gespräch über die fatalen Konsequenzen, die eintreten würden, wenn es - utopischerweise - den personenzentrierten Ansatz nicht mehr gäbe. Sehr traurig wären wir alle, meinte Sylvia Rasch und Wilfried Haßelberg-Weyandt meinte, dass damit auch ein Teil von ihm abhanden käme, denn der rogerianische Ansatz sei für ihn sowohl ein methodisches Verfahren als auch eine existentielle Haltung und Einstellung, die er in seiner Umwelt lebt. Diese Form des Tischgesprächs mit Initialimpulsen zum Austausch brachte Nähe, persönliche Begegnung  und war für mich befriedigend schön, mit Akzent auf Friede.

 

10.

Am Abend sah ich mir mit meiner Frau den Film „Der schlimmste Mensch der Welt“ von Joachim Trier an. In einem Prolog, 12 Kapiteln und einem Epilog wird die Suche einer jungen Frau nach ihrem Platz im Leben und einer tragfähigen Beziehung erzählt, ein lebenbejahender Selbstfindungsfilm.

Als begeisterter Filmseher habe ich sechs Jahre lang mit einem Freund in der Volkshochschule einen Filmklupp geleitet. Wir haben den TeilnehmerInnen einen Spielfilm vorgeführt. Das anschließende gemeinsame Gespräch über den Film orientierte sich am personenzentrierten Ansatz, der hervorragend geeignet ist, die Kommentare der KursteilnehmerInnen aufzugreifen, zu begleiten, ihren Erlebnisinhalt zu vertiefen und Gelegenheit schafft über die Projektionsfläche, die das Filmthema bietet, von Ereignissen aus der eigenen Lebensgeschichte zu berichten. 

 

11.

Mehrmals haben Andreas Renger und Till Schultze-Gebhardt aus der Regionalgruppe Rheinland  (bei der Gelegenheit möchte ich erwähnen, dass ich den lesenswerten Artikel von Andreas Renger über die Bedürfnisvormacht in Beziehungen sehr interessant fand) vor der Pandemie Filmabende organisiert, wohl mit dem Anspruch sie als projektives Element für persönliche Begegnungen und Austausch von Erfahrungen zu nutzen.  Ich habe an diesen Veranstaltungen sehr gerne teilgenommen, bin auch überzeugt, dass Filme, wie andere kreative Medien - z.B. Musik, bildende Kunst, Tanz, Arbeit am Tonfeld, u.a. therapeutisch genutzt werden können, um biografische Anteile zu kommunizieren und zu bearbeiten (Film(o)therapie ist ein weiteres, ein anderes Thema)

 

12.

Am Samstag nahm ich mir frei, denn die Arbeitsgruppen mit ihrem auf die Praxis ausgerichteten Themen waren für mich als Ruheständler nicht mehr relevant. Blieb noch das Tagungsabschlussfest.

Eine nette Bemerkung von Marion Schäfer - es sei schön nach langer Mitgliedschaft auch mal mein Gesicht kennenzulernen - hat mich amüsiert, gefreut und ich kann ansatzweise aus eigenem Empfinden den vehement an sie gerichteten Dank von Michael Barg nachvollziehen.

Beim Stehempfang, ein Sektglas in der Hand, den an mir und meiner Frau vorbeigehenden, sich herzlich begrüßenden TagungsteilnehmerInnen, fühlte ich mich etwas verlassen und wehmütig, erinnerte mich an die Zeit, in der ich in meinem anderen Dachverband, der Landesarbeitsgemeinschaft - und Bundeskonferenz für Erziehungsberatung in ähnlicher Weise integriert und aufgehoben gewesen war.

Auch an der großen, geschmackvoll gedeckten Esstischtafel wurde mir in den Gesprächen klar, dass ich das fachliche Geschehen nur noch von außen betrachten kann.

Gert-Walter Speierer, ein GwG-Urgestein, der während des Festes, für seine Verdienste im Verband und für seine Forschungsleistung geehrt wurde, wird weiterhin Überlegungen für Projekte anstellen und seine Ideen in die GwG einbringen. Das ist beachtlich und gut, doch kein Modell für mich. Meinerseits habe ich mich entschlossen, am verbandspolitischem Forum nicht mehr teilzunehmen.

 

Epilog

Ich werde der GwG weiterhin verbunden bleiben, in Dankbarkeit für den fachlichen Rückhalt, den ich durch die Veröffentlichungen, Fortbildungen, Begegnungen erhalten habe. Durch die Ausbildungen habe ich gelernt wie Beratung, wie Therapie geht und es für meine Arbeit sinnvoll nutzen können. Die weitere Entwicklung des Verbandes und des personenzentrierten Ansatzes werde ich mit großem Interesse verfolgen und hoffen, dass im Umgang mit meinen Mitmenschen der personenzentrierte Anteil in mir lange erhalten bleibt.

 

 

Zum Autor:

Romain Antony, Jg. 1950, geboren in Luxemburg, Dipl. Psychologe i.R., war Leiter einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle. Nachdem die restlichen Beratungsmaterialien, Fachbücher, Tests, rentenbedingt, im Kellerregal verstaut waren, fand sich erneut Zeit Filme zu schauen, zu kommentieren, zu besprechen (so z.B. im Filmclub der VHS oder auf der Berlinale) und sich für Wahrnehmungen, Erlebnisse und Einstellungen zu interessieren, die Filme bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auslösen können.  rom.antony@web.de

Filmblog: www.filmekommentieren.wordpress.com