Sie sind hier:

Was haben Merkel, das Thema „moderne Arbeitswelt“ und der PZA gemeinsam?

Die Frage, welches Thema ich für diesen Blog auswähle, war nicht leicht zu beantworten, weil mich zur Zeit viele Themen beschäftigen. Ganz vorne stand zum Beispiel die Bundestagswahl oder besser gesagt, das Phänomen Merkel. Dabei habe ich Angela Merkel und ihre Partei gar nicht gewählt. Trotzdem war ich mit dem Wahlergebnis nicht unglücklich. Und das wiederum hat ganz eindeutig mit Merkel zu tun. Was ist ihr Sympathiefaktor? Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach zu sein. Merkel hat so gar nichts von einem eitlen, narzisstischen, egozentrierten Menschen, legt kein Imponiergehabe an den Tag, ist selten bewertend und noch seltener abwertend im Umgang und stellt sich als pragmatische Kämpferin für die Sache vor. So zumindest gibt es für mich das öffentliche Bild her. Auf den ersten Blick ist sie damit sympathisch – und fertig. So, jetzt wäre mein Blog zu Ende.

Es sei denn, ich würde weiter nachdenken darüber, was Merkel über Mindestlohn, Leiharbeit oder Werkverträge zu sagen hat. Und was das überhaupt über den modernen Arbeitsmarkt sagt. Ein Thema, dass mich sehr beschäftigt und eben auch viel mit Politik zu tun hat. Na klar liegt es auf der Hand, dass ich mich für diesen Blog auch gleich fragen muss, was hat das mit dem Personzentrierten Ansatz (PZA) zu tun? Spielt der PZA überhaupt eine Rolle in der Arbeitswelt oder in der Politik (worauf ich spätestens am Ende noch zurückkommen werde)? Kräht da irgendein Hahn nach?

Zum Personzentrierten Ansatz in Organisationen

Die Frage kann ich nicht beantworten. Aber ich kann versuchen zu durchdenken, welche Rolle der PZA in der Arbeitswelt spielen könnte, wenn er so verstanden würde, wie ihn Carl Rogers in seiner Ursprünglichkeit und auch Radikalität vorgestellt hat. Mit Ursprünglichkeit und Radikalität meine ich (nach Schmid) eine deutlich als PZA erkennbare (und nicht verwässerte) Grundlage, „die diesen Ansatz nicht verharmlost, indem sie ihn parodierend etwa auf ein Spiegeln von Gefühlen oder ein freundliches Nicken und einen Aggressionen vermeidenden Umgang miteinander reduziert“ (Schmid 2008,128).

Humanistisches Menschenbild und Organisation

Fest steht, dieser Personzentrierte Ansatz ist (danach und zuerst) dem humanistischen Menschenbild verpflichtet. Das heißt nun aber nicht, dass auch eine Organisation (oder die Politik) sich zuerst explizit diesem Menschenbild verpflichten müssten. Denn, was heißt es ganz genau, dem humanistischen Menschenbild zu folgen? Was heißt es genau, den PZA zum Beispiel in der direkten Kommunikation, um die es letztendlich immer geht, umzusetzen? Das hängt vor allem jeweils vom einzelnen Menschen ab und seinen Bezügen im System. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das heißt für mich zuerst, eine Geisteshaltung anzustreben, zu verfeinern oder auch festigen zu wollen (wenn sie nicht bereits verinnerlicht ist), der eine tiefe Achtung vor dem Leben zugrunde liegt, eine grundsätzliche Bereitschaft, anders Denkende und anders Handelnde verstehen zu wollen und akzeptieren zu können, Mitgefühl für menschliches Leid zu haben und keine Fassade vorstellen zu müssen, also echt sein zu können. Kennen wir zur Genüge. Doch bezogen auf den Menschen im System, in der Organisation, zeigt sich die Schwierigkeit, dass man mit dem PZA keine „Ziele” festlegen kann, keinen Maßnahmenkatalog erstellen und verordnen kann. Es geht darum, eine solche Haltung im Prozess des menschlichen Miteinanders zu vertiefen oder weiterzuentwickeln. Wir wissen, diese Haltung ist durch die organismische Tendenz in jedem Menschen bereits vorhanden. Doch ohne Frage ist der eine Mensch ihr bereits näher, während der andere noch um so weiter von ihr entfernt ist. Wie also könnte der konkrete Weg aussehen?

Corporate Identity

Es nützt sicher nichts, einfach das humanistische Menschenbild in die „Corporate Identity“ hineinzuschreiben (wie es verschiedene Unternehmen tun) – oder in politische Programme (um an den Einstiegsgedanken anzuknüpfen). Es gehört in jedem Fall dazu, auch die Verantwortung für die Umsetzung aktiv zu übernehmen – in der Begegnung von Person zu Person. Die Organisation muss dieses Menschenbild zum Beispiel, beginnend mit der Ebene der Führungskräfte, umsetzen. Denn es sind gerade die Führungskräfte (oder die politischen Führer), an denen die Verantwortung für die Kommunikation „hängt“. Es ist diese Ebene, die die Unternehmenskultur oder die Umgangskultur prägt. Es sei denn, Hierarchien spielen bereits keine Rolle mehr, denn solche Unternehmen gibt es inzwischen auch (hier ist dann wiederum die Frage, welche Kommunikationskultur vor„herrscht”).
Doch noch ist der „fully functioning manager“, wie ihn Terjung/Kempf beschreiben, ein Ideal: „[...] eine Persönlichkeit, die enge persönliche Beziehungen entwickelt, mitarbeiterorientiert ist, autonom und selbstverantwortlich handelt und die hierarchische Positionsmacht nicht mißbraucht [...] darüberhinaus [... ]in größtmöglicher Übereinstimmung mit sich selbst ist und in Harmonie mit den MitarbeiterInnen, der Organisation und der Umwelt.“ (Terjung/Kempf 1997, 185)

Der ideale Manager

Dieser ideale Managertyp hat sich bis heute als Vorbild oder Modell nicht durchsetzen können. Stattdessen dominiert noch immer der „Gewinner um jeden Preis“ (vgl. Terjung/Kempf 1997, 185). Dieser „typische Manager“ von heute trägt dazu bei, dass zum Beispiel Mobbingprozesse in Gang kommen oder nicht verhindert werden, Mitarbeiter einer Organisation „krank“ werden oder sie in andere Kompensationsformen bezüglich eines schlechten Arbeitsklimas ausweichen, wie nur noch „präsent“ zu sein, statt produktiver Teil der Organisation. Dies zeigt sich in vielen Publikationen zum Arbeitsmarkt, auch in zwei jüngsten Studien zu Belastungsstörungen in deutschen Organisationen (Haubl u.a. 2013) oder dem „Mobbingreport“ (Meschkutat u.a. 2002). Es geht aber nicht darum, den Führungskräften den „schwarzen Peter“ zuzuschieben, sondern darum, das vorherrschende Managermodell, dass immer noch „den Heldenmythos als Erklärungsmodell des Phänomens Führung“ (vgl. Frenzel 2000, 29, Zeitschrift) bevorzugt, für endgültig unbrauchbar zu erklären und eine Interessen ausgleichende förderliche Zusammenarbeit von Menschen in den Blick aller Beteiligten zu rücken. Doch so lange (diese) Hierarchien noch bestehen, muss mit ihnen umgegangen werden.

Der konstruktive Weg

Die Organisation hat nun theoretisch, will sie den PZA im eigenen Haus zur Wirkung kommen lassen, viele Möglichkeiten. Zum Beispiel personzentrierte Fortbildungen für alle Mitarbeiter wahrzunehmen, um die Themen und die Wirkung des PZA im Umgang miteinander kennenzulernen. Es kann auch ein personzentriert geschulter Berater ins Haus kommen und jeweils als Facilitator aktiv werden, als „Modell“ für die Mitarbeiter in den Teams. Oder aber die jeweiligen Führungskräfte selbst werden geschult in personzentrierter Kommunikation, verinnerlichen idealerweise die Einstellungen und können jeweils in ihren Organisationen dann als Facilitator (Ermöglicher) wirken. Wie auch immer es beginnt, es muss beim Menschen, bei der Person und nicht nur oder zuerst beim System ansetzen, denn der Versuch bleibt illusionär „soziale Systeme oder Personen zielgerichtet und scheinobjektiv, nach dem Modell eines ‘sozialtechnologischen Engineerings’ von außen steuern zu wollen“ (vgl. Frenzel 2000, 37, Zeitschrift). Personen in der Organisation sind mit den Möglichkeiten der personzentrierten Kommunikation in der Lage, „schädliche Bedingungen bewusst zu erkennen und Schritte zu deren realer Veränderung einzufordern oder selbst in die Wege zu leiten“ (Schwanzar 2000, 47, Zeitschrift).

Erfahrung aus helfenden Berufen

Es bleibt die Frage, wie die Organisation den PZA als Kommunikationsmodell für die moderne Arbeitswelt nun praktisch zur Kenntnis nehmen soll, wie er in der Organisation wirksam werden soll, wenn diese ihn nicht als alternatives Kommunikationsmodell neben bisherigen Angeboten am Markt zur Kenntnis nimmt oder nehmen kann – aus welchen Gründen auch immer. Ed Schein schreibt zu diesem Thema in den abschließenden Bemerkungen seines Buches “Prozessberatung für die Organisation der Zukunft“, dass er immer wieder von Beratern höre, wie wichtig es sei, eine „formale Diagnose zu erstellen, Berichte zu schreiben, bestimmte Empfehlungen“ abzugeben (vgl. Schein 1999/2010, 303). „Ich verstehe nicht wirklich, warum wir unsere Erfahrungen aus anderen helfenden Berufen – Erfahrungen darüber, die Klienten zu beteiligen, im eigenen Rhythmus zu lernen, den Klienten zu helfen, ihre Probleme zu verstehen und selbst zu lösen – nicht auf das Gebiet der Management- und Organisationsberatung übertragen können.“ (Schein 1999/2010, 303) Seine Erklärung ist, dass bei Beratung, sobald sie ein Geschäft wird, Unternehmenskategorien wirksam werden, also Gewinne erwirtschaftet werden wollen. Dazu müssen sichtbare „Expertendienstleistungen“ verkauft werden, die greifbar sind, wie “Produkte, Programme, Diagnosen oder Lösungskonzepte” (vgl. Schein 1999/2010, 303). Mir fällt dazu spontan die Redewendung ein, „hier beißt sich die Katze in den Schwanz“. Doch gerade diese Problematik ist ein weiteres Argument für den PZA.

Denn wenn der (personzentrierte) Berater das humanistische Menschenbild verinnerlicht hat – was mit dem PZA als Kommunikationsmodell einhergeht, wird er sich zuerst auf den Menschen und auf die Beziehung konzentrieren. Inwieweit dies mit einer expertenorientierten Dienstleistung vereinbar ist, dieser Frage muss sich jeder personzentrierte Berater stellen. Er wird sich also mit seinen eigenen Motiven auseinandersetzen müssen und sich fragen, was ihn „antreibt“, wie es um seine Kongruenz steht, welchen Motiven er folgt, wenn er einen Auftrag annimmt und ob diese Motive mit einer tief verinnerlichten Haltung des PZA wirklich vereinbar sind. Das könnte auch dazu führen, dass er einen Auftrag ablehnen muss, weil dieser nicht mit dem PZA vereinbar ist.

Offenheit, Klarheit, Transparenz

Ich sehe jedoch darin auch eine Möglichkeit. Für die Organisation heißt das nämlich, dass mit „offenen Karten“ gespielt wird. Der personzentrierte Berater als potentieller Auftragnehmer wird authentisch sein, seine Überlegungen, seine Möglichkeiten transparent machen. Und er kann versprechen – diese Formulierung ist gut überlegt, dass sich die Kommunikation verändern wird und in der Regel verbessern wird. Er kann eben bloß keine „Produkte, Programme, Diagnosen oder Lösungskonzepte“ (vgl. Schein ebd.) anbieten. Und wozu auch, wenn diese selten halten, was sie versprechen und dazu noch viel Geld kosten?
Doch was hat das Ganze jetzt noch mit Merkel und der Politik zu tun? 

Dieser ganze Text könnte nun ohne weiteres so umgestellt werden, dass man bei dem Begriff „Organisation“ immer „Politik“ einsetzt: Machen Sie das Experiment. Sie werden sehen, am Ende wird herauskommen, was für die Politik der Zukunft und für den Umgang miteinander, ob zwischen Wählern oder Politikern, wünschenswert wäre. Und jetzt fällt mir auch noch eine kritische Anmerkung zu Merkel ein: Sie wird als Person bei allen konstruktiven und kooperativen Attitüden für mich nicht sichtbar. Das fehlt mir.


Quellen

FRENZEL, Peter (2000): Personzentrierte Supervision: Entwicklung durch dialogische Kreation funktionaler Wirklichkeiten in Umwelten der Organisation. In: PERSON 2/2000. Schwerpunkt: Der Persozentrierte Ansatz in der Supervision. 4. Jhrg. S. 28-39.

HAUBL, Rolf, VOß, G. Günter, ALSDORF, Nora, HANDRICH, Christoph (2013): Belastungsstörungen mit System. Die zweite Studie zur psychosozialen Situation in deutschen Organisationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

MESCHKUTAT B., STACKELBECK M., LANGENHOFF G. (2002): Der Mobbing-Report. Eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublick Deutschland. Schriftenreihe der Bundesanstalt für 
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. [Format: PDF, Titel: www.bana./de/Publikation/Forschungsberichte/2002/Fb951.pdf?_blob=?publicationFile&v=9, Zeit: 14.07.2013, 13:47, Adresse: http://www.baua.de]

SCHEIN, Ed (1999/2010): Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Der Aufbau einer helfenden Beziehung. 3. Auflage. Hrsg. von Gerhard Fatzer in Zusammenarbeit mit Wolfgang Loos und Sonja A. Sackmann. Bergisch-Gladbach: EHP-Verlag Andreas Kohlhage.

SCHWANZAR, Helmut: Empathie als Veränderungskonzept und Erkenntnisinstrument. In: PERSON 2/2000. Schwerpunkt: Der Personzentrierte Ansatz in der Supervision. 4. Jhrg. S. 44-48.

SCHMID, Peter F. (2008): Personzentrierter Ansatz – eine zu stille Revolution? In: Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung 3/2008. Köln: GwG. S. 124 -129.

TERJUNG, Beatrix, KEMPF, Thomas (1997): Personzentrierter Ansatz für Organisationen im Wandel. DETER, Detlev, SANDER, Klaus, TERJUNG, Beatrix (1997): Die Kraft des Personzentrierten Ansatzes. Praxis und Anwendungsgebiete. Köln: GwG-Verlag. S. 183-193.


GwG-Bloggerin Christa Kosmala:
Im Zweifel Rogers
Ich lebe in Köln und arbeite freiberuflich (nach dem Personzentrierten Ansatz / PZA)  als psycho-soziale Beraterin sowie als Kommunikationstrainerin und Autorin. Bevor es so weit kam, erfüllte sich für mich die Suche nach spannenden Lebensentwürfen sowie das Erforschen von Sinn- und Seinsfragen in einem geisteswissenschaftlichen Studium (Philosophie und Literaturwissenschaft als Lieblingsfächer), dass ich an der Uni Köln abgeschlossen habe (M.A.). Dazu kam das Schreiben von Artikeln, Drehbüchern, Reden oder Vorträge und die Beratung von Führungskräften. Doch dann begegneten mir die Bücher von Rogers und der PZA. Also habe ich noch mal "Personzentrierte Beratung" an der EFH Bochum studiert (M.A). und diverse Fortbildungen zum PZA gemacht - weil ich einfach nicht genug kriegen konnte. Und ganz ehrlich? Ich bereue keine einzige Stunde. :-)))
Website: www.meinekarriere-meinweg.de