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Wann reagiert der WBP auf die Argumente aus der Wissenschaft?

Immerhin sind nicht nur die Ungereimtheiten und Regelverstöße des „Gutachtens“ des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (WBP) aus 2018 bis heute nicht nur weitgehend ungeklärt. Sondern viele seitdem bekannt gewordene Fakten und Veröffentlichungen belegen, dass die Humanistische Psychotherapie keine geringere Wirksamkeit aufweist als die anderen drei Grundorientierungen...

Nach – Gedacht   

Wann reagiert der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) auf die Argumente aus der Wissenschaft?

 Kommentar von Jürgen Kriz

„Wissenschaftliche Evidenz für einen fälligen Wechsel hinsichtlich Forschung und Psychotherapiepolitik“ hat Norbert Bowe seinen Artikel im aktuellen Heft (3/2021) von PPP („Psychotherapie in Politik und Praxis“) überschrieben. PPP ist das Magazin des bvvp(„Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten“), der mit über 5.600 Mitgliedern die größte integrative Interessensvertretung von ärztlichen, psychologischen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen ist und als wichtiger Partner in der Gesundheitspolitik entscheidenden Anteil an der Versorgung psychisch kranker Menschen nimmt.

Man darf also hoffen, dass dieser Beitrag zur Kenntnis genommen wird und endlich die überfällige Diskussion anregt, wie es denn nun weitergehen soll mit derdeutschen administrativen Blockade der Humanistischen Therapie. Immerhin sind nicht nur die Ungereimtheiten und Regelverstöße des „Gutachtens“ des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (WBP) aus 2018 bis heute nicht nur weitgehend ungeklärt. Sondern viele seitdem bekannt gewordene Fakten und Veröffentlichungen belegen, dass die Humanistische Psychotherapie keine geringere Wirksamkeit aufweist als die anderen drei Grundorientierungen. Vergessen wird auch oft, dass in den letzten zwei Jahrzenten sowohl die ganz überwiegende Mehrheit der deutschen Universitätsprofessor*innen in klinischer Psychologie und Psychotherapie, als auch sämtliche(!) Länderkammern und darüber hinaus auch eine von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtk) eingesetzte Expertenkommission gefordert hatten, die Gesprächspsychotherapie als wissenschaftlich anerkanntes Verfahren ins System der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.

Der aktuelle Anlass für Bowes Beitrag im Magazin des bvvp ist die Evaluation des sogenannten „Methodenpapiers“ des WBP durch Bruce E. Wampold. Der bvvp hat diese Evaluation in deutscher Übersetzung (mit amtlicher Beglaubigung der Korrektheit der Übersetzung) zusammen mit der Langfassung des Beitrags von Bowe zu dieser Evaluation als Dokumente ins Internet gestellt.1

Es lohnt und sei dringend empfohlen, sich beide Dokumente – zumindest die synoptischen Schlussfolgerungen von Bowe – anzusehen. Sie sind gut gegliedert und rasch in ihren wesentlichen Aspekten erfassbar. Daher müssen beide Dokumente hier auch nicht referiert, sondern nur die fünf Hauptpunkte in der Argumentation von Wampold (denen auch Bowes Beitrag folgt) kurz angeführt werden:

Als erster Punkt wird die Unterstellung des Methodenpapiers kritisiert, dass die unterschiedlichen Erfolge von psychotherapeutischen Vorgehensweisen auf so grobe Kategorien wie „Verfahren“ (besser: Cluster) zurückzuführen wären. Diese Unterstellung ist, nach allem was wir aus der Forschung wissen, falsch. Als Zweites wird der hohe Stellenwert der RCT-Methodik im Methodenpapier kritisiert. Als Drittes wird gezeigt, dass die Annahme, dass spezifische Vorgehensweisen, die im Methodenpapier vornehmlich geprüft werden, nicht dem Stand der Forschung entspricht. Viertens wird die Logik infrage gestellt, nach der bestimmte Methoden und deren vermeintliche Wirksamkeit klar bestimmten „Verfahren“ zuordbar wären. Fünftens wird kritisiert, dass das Methodenpapier die Beziehungsfaktoren, die für eine wirksame Psychotherapie unerlässlich sind, größtenteils ignoriert und nicht erkennt, dass diese Faktoren allen Psychotherapieverfahren und -methoden gemein sind.  

Die in Deutschland erfolgte Eliminierung einer der vier Grundorientierungen (bzw. „Verfahren“) – ohnehin einmalig in der Welt – entbehrt somit auch aus Sicht dieser fünf Argumentationspunkte der wissenschaftlichen Fundierung. Sie steht sogar im Widerspruch zum Stand der Wissenschaft. Bowe kommt denn auch zu folgendem Resümee: „Die Vorgehensweisen des WBP-Methodenpapiers gehen an der Evidenz für die Wirkungsweisen der Psychotherapie vorbei. Auf unwissenschaftliche Weise werden spezifische Therapietechniken auf Manualbasis bevorzugt und mit Forschungsgeldern gefördert, während beziehungsorientierte Behandlungsmethoden zurückgedrängt werden. Die Wahlmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten werden eingeschränkt, die Qualität der Versorgung nicht verbessert.“  

Als der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2019 nach elfjähriger Prüfung der vorgelegten Studien von „Verhaltenstherapie“ und „Psychodynamischer Therapie“ zu dem Ergebnis kam, dass diese keineswegs die Kriterien erfüllen, aufgrund derer ihre Vertreter im WBP 2018 die Humanistische Psychotherapie hatten scheitern lassen, hätte eine kritische Reflexion dieser Kriterien einsetzen müssen. Es ist aber zu hoffen, dass ein international renommierter Forscher wie Wampold und der Stellenwert des bvvp den WBP dazu bewegen können, sich doch noch auf einen Diskurs über diese Argumente aus der Wissenschaft einzulassen. Zumal ich glaube, dass auch die meisten Mitglieder im WBP ihren Studierenden vermitteln, dass Wissenschaft vor allem auf dem Diskurs über unterschiedliche Positionen, Ansätze und Methoden beruht und nicht im Beharren auf einmal getroffenen Bewertungen.

Für Bowe ergibt sich aus Wampolds Evaluation eine Reihe gravierender Folgerungen. Als erste formuliert er: „Die Humanistische Psychotherapie ist vom WBP wissenschaftlich anzuerkennen.“ Für die Patienten, die darauf warten, dass auch in Deutschland (wieder) zugelassene Humanistische Psychotherapeut*innen praktizieren und  für die Studierenden, die endlich (wieder) adäquat informiert werden möchten, wäre dies ein Segen.

 

https://bvvp.de/wp-content/uploads/2021/07/Psychotherapie_Wampold.-Kritik-am-Methodenp.-Uebersetzg_public.pdf  und  https://bvvp.de/wp-content/uploads/2021/08/20210803-Langfassung-aus-PPP-3_21-Bowe_Evidenz-fuer-Politikaenderung_public.pdf