Resilienz gegen „Resilienz“
Seit eh und je meistern manche Menschen trotz überaus schlechter Bedingungen in ihrer Entwicklung oder trotz katastrophaler Umstände ihr Leben erstaunlich „unbeschadet“. Zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wurden solche Beobachtungen allerdings erst Mitte des 20. Jahrhunderts, wo auch der Begriff „Resilienz“ erstmals auftauchte. Besonders bekannt wurde eine Langzeitstudie der amerikanischen Psychologin Emmy Werner, in welcher der gesamte Geburtsjahrgang 1955 von Kindern der Insel Kauai (Hawaii) von ihrer Geburt an 40 Jahre lang begleitet wurde und dabei systematisch Befunde über deren Entwicklung lieferte.
Rund ein Drittel der Kinder, die in dieser Studie aufgrund bestimmter Kriterien als „Risikokinder“ eingestuft worden waren, entwickelte sich erstaunlich gut. Werner beschrieb, dass diese Kinder sich stabile Beziehungen zu Vertrauenspersonen (Nachbarn, Peers, Lehrerin) außerhalb der dysfunktionalen Familie suchten, dass sie früh Verantwortung übernehmen mussten und somit stärker als andere der Vergleichsgruppe gefordert waren und dass diese Kinder ein eher ruhiges, positives Temperament hatten und sich gegenüber anderen Menschen offen zeigten. Wobei bereits hier gefragt werden kann, was davon Ursache und was Wirkung ist oder ob nicht ohnedies diese Beobachtungskategorien viel komplexer miteinander verwoben sind.
In den folgenden Jahrzehnten wuchs das Interesse am Phänomen der Resilienz in den internationalen Diskursen der klinischen Psychologie und Psychotherapie stark an. Im Fokus stand dabei zunächst die Frage, was die „Widerstandskraft“ von Kindern gegenüber solchen „Risikofaktoren“ ausmacht, die bei anderen Kindern überwiegend zu beobachtbaren Beeinträchtigungen der Entwicklung und der psychischen Gesundheit führen.
Eigentlich führt eine solche Frage zum Kern Humanistischer Psychotherapie. Denn es wird daran überdeutlich, dass offensichtlich die Perspektive „objektiv“ beobachtbar und beschreibbarer „Faktoren“ zu kurz greift. Vielmehr geht es mindestens genauso um das Subjekt in seiner Lebenswelt. Wie schon die Gestalttheoretiker vor über hundert Jahren entgegen dem naiven Realismus argumentierten und experimentell nachwiesen, führen dieselben „objektiven Reizbedingungen“ in der Lebenswelt der Menschen eben keineswegs zu denselben phänomenalen Ergebnissen.
Doch die Entwicklung der Forschung zur Resilienz ging weniger in die Richtung, sich dem Verständnis der komplexen Beziehungen des Menschen in seiner Lebenswelt zu den äußeren Bedingungen zu widmen. Solche Forschung und deren Befunde könnten sowohl einerseits helfen, Menschen in ihrer Entwicklung zu stärken, andererseits aber auch ein Nachdenken über schädliche Einflüsse fördern. Stattdessen wurde das Konzept der Resilienz zunehmend einer reduktiv-behavioralen Weltsicht unterworfen, nach welcher „resilientes Verhalten“ als erlernbar und trainierbar angesehen wird. Auch die Medikalisierungskampagne der Pharma-Konzerne machte vor „Resilienz“ nicht Halt: Entsprechend der Sichtweise, dass letztlich alle beobachtbaren Störungen auf Ungleichgewichte von Stoffwechselprozessen im Gehirn zurückgehen, wurden beispielsweise in Studien an Patienten mit „Posttraumatischer Belastungsstörung“ Medikamente wie Prozac, Zoloft oder Gabitril ausprobiert, worauf diese Patienten Fragebogenitems einer Resilienz-Skala wie „zur Anpassung an Veränderung fähig“, „habe mein Leben im Griff“, „sehe Sinn im Leben“ oder „kann mit dem umgehen, was auf mich zukommt“ positiver beantworteten als vorher. Dies wurde als Erhöhung der Resilienz verstanden.[i]
Dieselben Forscher schrieben an anderer Stelle: „Es gibt keinen besseren Beweis für die Wichtigkeit der Resilienz als (...) den (jüngst eingebrachten) National Resilience Development Act, der dazu dienen soll, die Amerikaner bei der Entwicklung einer größeren psychologischen Resilienz gegenüber Terrorismus zu unterstützen“. Entsprechend wird seit einem Jahrzehnt für Soldaten der US-Army und ihre Angehörigen ein Trainingsprogramm angeboten, das sich den (angeblich) fünf Dimensionen („emotionale, soziale, spirituelle, familiäre und physische“ Dimension) von Stärke widmet. Das Trainingsvolumen beträgt über 100 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Doch auch im zivilen Bereich sind landauf und landab „Resilienztrainer“ unterwegs, um Arbeitnehmer für Belastungen aller Art fit zu machen. Leistungssteigerung (auch) in Krisenzeiten, Verringerung des Krankenstandes durch Burn-out-Problematiken oder bessere Verfügbarkeit der Mitarbeiter sind denn auch einige der Ziele, weshalb immer mehr Unternehmen solche „Resilienztrainings“ organisieren. Hier wird deutlich, wie durch eine Funktionalisierung des ursprünglichen Resilienzkonzeptes zu Training-Tools die Fitness für eine Vielzahl von Belastungen dem Individuum als Aufgabe anheimgestellt wird. Gleichzeitig gerät damit die Frage nach den Ursachen und Zusammenhängen aus dem Fokus.
Es ist fraglich, ob wir genügend viel Resilienz besitzen, um gegenüber einer solchen Aushöhlung und Umfunktionierung des Resilienz-Konzeptes erfolgreich Widerstand leisten zu können.
Dieser Text erschien auch in unserer Zeitschrift in der krizschen Rubrik "Nach - Gedacht" 2/2018.
[i]Eine Studie von Davidson et al (2005) referiert in Young, A. (2006) Trauma und Verarbeitung in den USA nach dem 11. September 2001. Ein anthropologischer Blick auf virtuelle Traumata und Resilienz. In: E. Wohlfart & M. Zaumseil (Hg.). Transkulturelle Psychiatrie - Interkulturelle Psychotherapie. Berlin: Springer, S. 391-410.
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