Neues zur Empathie?
Kommentar von Jürgen Kriz
In einer konzertierten Aktion stellten SPIEGEL und Bertelsmann-Verlag das Thema „Spiegelneurone“ einer breiten Leserschaft vor: Der SPIEGEL erhob es dabei gar zur Titelgeschichte: „Die Magie des Mitgefühls. Hirnforscher erkunden das Geheimnis der Empathie“ (Heft 39/2013). Bertelsmann brachte die deutsche Ausgabe von Christian Keysers „Unser empathisches Gehirn – Warum wir verstehen, was andere fühlen“ auf den Markt. Wobei Keysers mit einem ausführlichen Interview zu diesem Buch im SPIEGEL zu Worte kommt. Dies ist ein guter Anlass, einmal kritisch über die Spiegelneuronen nachzudenken. Da grade auch Humanistische Psychotherapeuten oft von der wichtigen Entdeckung für das Verständnis von Psychotherapie schwärmen – wohl wegen einer vermeintlich „wissenschaftlichen Fundierung“ der auch ihnen so wichtigen Empathie.
Das Konzept der Spiegelneuronen geht auf ein Team um Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese zurück. Sie entdeckten 1992 zufällig an Menschenaffen (Makaken), dass dieselben Neuronen, die beim Greifen einer Erdnuss aktiv sind, auch dann feuern, wenn das Tier diese Handlung bei anderen (oder einem Menschen) nur beobachtet. Die Bezeichnung „Spiegelneurone“ soll ausdrücken, dass diese Neuronen quasi das Verhalten des Gegenübers spiegeln. Sehr bald erbrachte weitere Forschung, dass nicht nur die Bewegung selbst zur Aktivität der Spiegelneurone führt, sondern auch die mit dieser Handlung verbundenen Geräusche – ja, sogar Teilbewegungen, die als „Absicht“, zur Nuss zu greifen, gemeint waren. Als es dann noch Hinweise gab, dass ein ganzes Spektrum von Bewegungen „gespiegelt“ wird – und vor allem auch jene der Gesichtsmuskeln, die für emotionalen Ausdruck wichtig sind – setzte ein Hype an Interpretationen und Spekulationen ein. Obwohl Spiegelneurone erst vor drei Jahren beim Menschen – und auch hier nur für Bewegung – nachgewiesen wurden, unterstellte man, nun „das Geheimnis der Empathie“ entdeckt zu haben (so nicht nur der SPIEGEL-Titel).
Niemand bestreitet den Basisbefund, dass bestimmte Neuronen feuern, wenn Affen oder Menschen eine Bewegung anderer beobachten. Und dass dies auch dieselben Neuronen tun, die diese Bewegung hervorrufen würden, ist ein wichtiges Ergebnis. Allerdings ist dies keineswegs überraschend, wenn man die Welt nicht nur aus Sicht und Kenntnis neurophysiologischer Laborexperimente betrachtet. Bereits 1874 formulierte der englische Arzt W. B. Carpenter als „Ideomotorisches Gesetz“, dass bereits die Vorstellung einer Bewegung in der entsprechenden Muskulatur eine minimale Bewegung auslöst. Dieser sog. Carpenter-Effekt hat auch heute noch z.B. für klinische Hypnose eine wichtige Bedeutung. Sehr bald wurde der Carpenter-Effekt von Vorstellungen auf Wahrnehmungen erweitert. Hellpach weist 1951 in seiner Sozialpsychologie darauf hin, dass „die wahrgenommene Bewegung den Antrieb zur Ausführung der gleichen Bewegung, und zwar ohne Beteiligung des bewussten Wollens ... erregt“. Im „Lehrbuch der experimentellen Psychologie“ von Meili & Rohracher 1963 findet sich ein ganzer Abschnitt zur „Motorischen Denktheorie“ mit Befunden der 20er und 30er Jahre.
Da Muskeln nicht durch paranormale Einflüsse bewegt werden, war zu erwarten, dass man die neuronalen Korrelate der Ideomotorik irgendwann im ZNS würde nachweisen können. Das gleiche gilt für die Bewegung von emotionaler Mimik: Seit langem weiß man, dass Säuglinge schon im Alter von nur wenigen Wochen Bewegungen und Gesichtsausdruck „spiegeln“ können. Fähigkeiten, die sich rasch umfangreicher entwickeln. Dass dafür ein Gehirn notwendig ist, ist trivial. Fragt sich also bestenfalls, wie spezifisch tatsächlich einzelne Neuronen ausgemacht werden können. Und hier muss man sagen, dass mit zunehmender Entdeckung vermeintlicher neuronaler „Spiegelungen“ von umfassenderen Gefühlszuständen, Handlungen, Absichten, etc. auch die „Spiegelneuronen“ in Wirklichkeit immer größere Netzwerke umfassen. Aber selbst dann, wenn es jeweils ein einziges Neuron wäre, das gemessen werden würde: Jede neuronale Erregung, die irgendein Neuron jenseits des visuellen Cortex erreicht, hat sich bereits viele Millionen Mal verzweigt und wurde wieder rückgekoppelt. Ein vom restlichen Gehirn isoliertes „Spiegelneuron“ ist ebenso artifiziell und realitätsfremd, wie ein von seiner sozialen Umwelt isolierter menschlicher Organismus.Dass sich aber das Gehirn als neuronales System in einem Organismus im Laufe der Evolution so entwickelt hat, dass es eben diesen sozialen Austausch – ohne den das Neugeborene gar nicht überleben könnte – optimiert, wundert höchstens jemanden, der diese Grundposition Humanistischer Psychologie seit einem Jahrhundert übersehen hat.
Um zu sehen, wie nützlich das Wissen um „Spiegelneuronen“ für die Therapie ist, sei das SPIEGEL-Interview empfohlen: Schon der Buchtitel „Unser empathisches Gehirn“ dokumentiert jene Kategorienvermengung, die leider inzwischen bei Hirnforschern fast üblich ist – wo dann die „Amygdala denkt“, oder wo Keysers mit Blick auf den Scanner meint „Dabei leuchtete im Gehirn … das Mitgefühl … auf.“ Spätestens aber, wenn Keysers in Bezug auf sein „geliebtes“ Notebook ausführt „Es schmerzt mich einfach, wenn ich höre, wie etwas … daran schabt. Die Empathie erstreckt sich auch auf unbelebte Objekte“, wird deutlich, dass wir diese Art der Empathie besser den Hirnforschern überlassen: Objekten – oder schlimmer – Klienten Gefühle zu unterstellen, die sie nicht haben, ist keine Empathie sondern projektive Identifizierung. Diese ist therapeutisch kontraindiziert. Aber sie ist wohl nicht untypisch für die Spiegelneuronen-Debatte und ihre teilweise maß- bis sinnlosen Ansprüche.
GwG-Blogger Prof.Dr.Jürgen Kriz:
Vorwiegend habe ich in den letzten Jahrzehnten wissenschaftliche Texte zu Fragen von Psychotherapie, Beratung und Coaching verfasst - allerdings auch mit vielen Beiträgen zur Methodik von Forschung in diesen Bereichen, da gerade in Deutschland im Hinblick auf diese Fragen ein sehr verengtes, reduziertes und missverstandenes Bild von „Wissenschaftlichkeit“ vorherrscht.
Als Ausgleich für die hoch disziplinierten wissenschaftlichen und fachlichen Artikel habe ich immer schon dann und wann Satiren und kleine Geschichten verfasst (die bisweilen sogar in „pardon“ oder „scheidewege“ erschienen sind). Seit vielen Jahren schreibe ich für die GwG-Zeitschrift ein „Nachgedacht“, in dem ich aktuelle Themen und Trends in Gesellschaft und Wissenschaft aus der Sicht Humanistischer Psychotherapie hinterfrage.
Ich liebe ungewöhnliche Blickwinkel. Denn nur durch die Vielfalt der Perspektiven können die meist sehr komplexen Erfahrungsgegenstände etwas weniger reduziert und verzerrend erfasst und dargestellt werden.
Website: www.jkriz.de
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