Nach – Gedacht: Am Anfang war Zusammenarbeit
1970, vor 50 Jahren, wurde die GwG gegründet. Der geplante Jubiläumskongress unter dem Motto „Die personale Begegnung als Wirkfaktor“ musste wegen der verordneten Beschränkungen von persönlichen Begegnungen im physischen Kontakt auf 2021 verschoben werden. Der Anlass zum Nach-Denken über die Anfänge bleibt bestehen.
Es lohnt sich, den auf Youtube frei zugänglichen ersten Teil der Festrede von Klaus Dörner zum 40-jährigen Jubiläum der GwG anzusehen.[1] Schon der Vortragstitel passt heute genauso gut wie vor zehn Jahren: „Beiträge des Personzentrierten Ansatzes zur Gesundung von Person, Wirtschaft und Gesellschaft“. Denn mehr als je ist der Personzentrierte Ansatz mit seiner humanistischen Grundorientierung notwendig, um die Schäden abzumildern, welche durch eine hemmungslos ökonomisierte Globalisierung unter dem Primat des Neoliberalismus an den Menschen – um nicht zu sagen: an diesem ganzen Planeten – angerichtet werden.
Dabei bestand zur Gründerzeit der GwG noch eine erfreuliche Zusammenarbeit zwischen den sich gerade etablierenden Gesellschaften, die den damals vorherrschenden ärztlichen Mainstream an psychiatrischen und psychoanalytischen Behandlern um andere Perspektiven bereichern wollten. Die drei sogenannten Plattformverbände – GwG, DGVT (Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie) und DGSP (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie) – traten öffentlich gemeinsam auf. Sie betonten u. a., dass die sozialen Bedingungen psychischer (oder besser: bio-psycho-sozialer) Erkrankungen stärker berücksichtigt werden müssen, und forderten, dass die psychosoziale Versorgung allen Bevölkerungsgruppen zugänglich sein sollte.
Dörner schildert in dem Vortrag, wie er 1970 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im dritten Stock mit Ursula Ploog die sozialpsychiatrische Tagesklinik betrieb, während im fünften Stock drei klinische Psychologen mit je einer Patientengruppe Psychotherapie und -forschung begannen: Jochen Eckert, als Gesprächspsychotherapeut, Klaus Grawe als Verhaltenstherapeut und Nikolaus (Nik) Becker als Psychoanalytiker. Auch dies geschah durchaus in Kooperation, zumal die Ergebnisse zeigten, dass die Erfolge der drei Psychotherapieansätze im Wesentlichen gleich waren – wenn auch, so Dörner, von diesem zentralen Ergebnis dann in dem Buch von Grawe et al., 1994, „wenig zu lesen“ war. Vielen Akteuren ging es damals aber wirklich um gemeinsame Ideen, um das Erforschen und Ausprobieren neuer Wege und Ansätze. Sie plädierten für ein offeneres Gesundheitssystem, in dem die Patienten mit ihren Lebenswelten fallbezogen eine Rolle spielen sollten – und nicht so sehr abstrakte Diagnosekategorien und Richtlinienabgrenzungen.
Vieles ist heute anders geworden. Die professionelle Psychotherapie hat den Weg eingeschlagen, sich als Teil des Medizinsystems zu definieren und dabei entsprechend medikalisierte Erklärungsperspektiven sowie Methoden der Wirksamkeitsevidenz aus der Pharmaforschung und Apparatemedizin zu übernehmen. Für einen effizienten, von Krankenkassen strukturierten Gesundheitsmarkt und für etliche Patienten mag dies angemessen sein.
Aber es gibt eben auch viele Menschen, die für ihre bio-psycho-sozialen Leiden jenseits der ICD-Standarddiagnostik nicht so sehr manualisierte Einheitstherapien brauchen, sondern die in ihrer Einmaligkeit und umfassenden Lebenswelteinbettung gesehen und als denkfähige, sinnorientierte, selbstbestimmte Subjekte behandelt werden wollen. Dies soll vor dem Hintergrund regelhaften klinischen Wissens, aber nicht in dessen normierter Vollstreckung stattfinden. Zentrale Erkenntnisse und Essentials des Personzentrierten Ansatzes sind zwar längst wichtige Bestandteile vieler anderer Psychotherapien geworden. Sie sind dort aber oft nur vulgarisiert oder technizistisch verfremdet zu finden, womit sie in ihrer Wirkung begrenzt bleiben. Zudem besteht gegenwärtig die Tendenz, dieses mit der Pharmaforschungslogik nicht Erfassbare noch weiter aus den Standardtherapien zu eliminieren. So wie kürzlich auch Kompetenzen in Pädagogik, Sozialpädagogik oder sozialer Arbeit als irrelevant erklärt wurden.
Da Deutschland das einzige Land der Welt ist, in dem „ Psychotherapeut“ auf drei von vier Grundorientierungen beschränkt ist, ist es für die GwG ratsam, sich an die Anfänge zu erinnern und Gemeinsamkeiten zu suchen und zu stärken. Diese sind hierzulande in Bereichen wie Beratung, Coaching, Psychosoziale Prozessbegleitung, Supervision etc. vorhanden – umfassend, gut elaboriert und so integrativ, dass der Personzentrierte Ansatz dabei stark vertreten ist. Formell-administrativ besteht zwar ein klarer Unterschied zur Psychotherapie – de facto ist dieser aber oft recht klein. Und je mehr der „gläserne Bürger“ bei Behandlung durch Richtlinientherapie registriert und zum Beispiel bei privaten Rentenversicherungen zur Kasse gebeten wird, desto eher wird er statt solcher Therapien lieber eine von ihm selbst gewählte Behandlung und Hilfe bevorzugen.
Es geht also darum, so wie in den Anfängen vor 50 Jahren, die Zusammenarbeit mit allen zu fördern, denen es primär darum geht, Leidenszustände der Menschen im bio-psycho-sozialen Bereich zu verringern.
[1] (www.youtube.com/watch?v=uTUvO_F1JTM). Der vollständige Vortrag ist als DVD beim GwG-Verlag erhältlich (www.gwg-ev.org/publikationen/vortrag-prof-dr-klaus-dörner-dvd)
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