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Methoden: Verbotene Frucht oder integrierbare Unterstützung?

Vor zehn Jahren trat ich als überzeugter personzentrierter Berater eine neue Stelle in einer Familienberatungsstelle an. Trotz aller anfänglichen Zweifel ließ ich mich (zunächst probeweise) darauf ein, in den Beratungsgesprächen auch mal Methoden anzuwenden. Teilweise mit geringem Erfolg (nach Aussage der Klienten), teilweise mit großem Erfolg (nach Aussage der Klienten).

Seitdem beschäftigt mich die Frage der Integrierbarkeit von Methoden in die personzentrierte Beratung in praktischer Arbeit, theoretischer Auseinandersetzung und wissenschaftlicher Forschung.
Als personzentrierter Ausbilder und Dozent referiere ich seit Jahren über meine Position zu diesem Thema. Interessant sind dabei die unterschiedlichen Reaktionen der personzentrierten Kolleginnen und Kollegen. Von manchen wurde die Verwendung von Methoden gleich einer „verbotenen Frucht“ strikt abgelehnt, von anderen als sinnvolle und integrierbare Unterstützung der personzentrierten Beratung angesehen.
Doch was macht es manchen personzentrierten Beraterinnen und Beratern so schwer, über einen Methodeneinsatz nachzudenken?

Als gemeinsame Basis können wir sicherlich sagen, dass wir unsere Klienten durch unser Verhalten nicht beeinflussen, lenken oder gar manipulieren möchten, d.h. uns möglichst nicht-direktiv zu verhalten. Klar ist aber auch, dass ein völliges „nicht-direktives“ Verhalten seitens des Beraters unmöglich ist, da jedes Beraterverhalten – und sei es noch so passiv – vom Klienten wahrgenommen, interpretiert und in Verhalten umgesetzt wird.
Carl Rogers selbst hat sich zu der Verwendung von Methoden bzw. Techniken nicht generell ablehnend geäußert: 
Wirksame Beratung besteht aus einer eindeutig strukurierten, gewährenden Beziehung, die es dem Klienten ermöglicht, zu einem Verständnis seiner selbst in einem Ausmaß zu gelangen, das ihn befähigt, aufgrund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen. Aus dieser Hypothese folgt zwangsläufig, dass alle Techniken auf die Entwicklung dieser freien und gewährenden Beziehung, dieses Verständnisses des eigenen Selbst in der beratenden und in anderen Beziehungen, und dieser Tendenz zu positiven, selbstinitiierten Handlung abzielen sollten“ (Rogers 1999, S. 28). 
Und an anderer Stelle: „In dem Ausmaß jedoch, in dem sie [die therapeutische Technik] einen Kanal zur Verfügung stellt, durch den der Therapeut eine feinfühlige Empathie und eine bedingungslose Zuwendung zum Ausdruck bringt, kann sie als technischer Kanal dienen, durch den die wesentlichen Bedingungen von Therapie erfüllt werden“ (Rogers 1998, S. 183).

In Anlehnung an Rogers vertrete ich die Position, dass Methoden alleine nicht zu einer Entwicklung oder Problemlösung beim Klienten führen können. Hierzu braucht es die von Rogers beschriebenen Bedingungen. Jedoch kann es vorkommen, dass ein Gespräch auch unter diesen Bedingungen nicht weiter kommt. Dem Klienten fehlt es an einer neuen Perspektive  oder einer neuen Erfahrung im Denken, Fühlen oder Handeln. Eine Methode kann dem Klienten genau dieses ermöglichen. Über den verbalen Dialog hinaus kann der Klient eine neue Kognition oder Emotion erfahren, welche ihm eine weiterführende Perspektive für den Beratungsprozess eröffnet. Ich denke hier zum Beispiel an die konkrete Visualisierung eines „Problem-Berges“ oder die Körpererfahrung, die ein Klient macht, wenn er auf einem von zwei möglichen „Entscheidungsstühlen“ sitzt.  Dieser neu entstandene Impuls muss im Weiteren wieder im (personzentrierten) Gespräch auf seine Bedeutung für den Klienten exploriert werden.
Im Idealfall kann also eine Methode das Gespräch perspektivisch erweitern und produktiver weitertransportieren (vgl. Ziebertz, Krüger 2013, S. 82f.). Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Nicht alle Methoden lassen sich in ein personzentriertes Gespräch integrieren, wenn sie zum Beispiel mit der personzentrierten Grundhaltung nicht zu vereinbaren sind. 
Zu Bedenken ist noch die individuelle Passung, ohne die die o.g. Wirkung sich nicht entfalten kann:

  • Passung zum Berater: Kann der Berater die Methode sicher und vor allem echt anbieten und durchführen? Fühlt sich der Berater mit der Methode wohl?
  • Passung zum Klienten: Kann und will der Klient die Methode annehmen? Passt die Methode zum Klienten?
  • Passung zur Situation und zum Beratungsprozess: Passt die Methode in konstruktiver Weise zur Situation und zum Beratungsprozess? 

In der hier gebotenen Kürze ist dieser Text nicht als abgeschlossene Position meinerseits zu verstehen, sondern als eine erste Skizzierung. Ich hoffe, dass sich daraus eine kritische personzentrierte Methoden-Diskussion eröffnet.

Literatur:
Rogers, C. (1998): Die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Persönlichkeitsentwicklung durch Psychotherapie. In: Rogers, C./ Schmid. P.: Person-zentriert. Grundlagen von Theorie und Praxis. 3. Aufl. Matthias-Grünewald Mainz.
Rogers, C. (1999): Die nicht-direktive Beratung. 9. Aufl. Fischer Frankfurt a.M.
Ziebertz, T./ Krüger, E. (2013): Handbuch für Beraterinnen und Berater von Pflegefamilien. LWL Münster.

GwG-Blogger Dr. Torsten Ziebertz:
Als personzentrierter Ausbilder, Dozent und Forscher interessiert es mich sehr, nicht bei „Rogers 1987“ stehen zu bleiben, sondern seinen Ansatz weiterzudenken, zu aktualisieren und auf gegenwärtige Themen, Kontexte und Erfahrungen anzuwenden. Denn trotz mancher Grenzen bietet unser Ansatz vielfältigste Möglichkeiten, um dringende individuelle und gesellschaftliche Problemlagen zu verbessern.
Website: http://www.ziebertz-institut.de