Hintergrundrauschen
Gerade hörte ich einen Podcast zu „SarCoVi“ oder „SCV“ - so die ambitioniert-kreativen Abkürzungen für Corona-Virus. Ob ich Nachrichten höre, Podcasts höre, Zeitung lese oder mit Freunden oder Familie rede, das Thema ist immer da. Wer es in einem taxifahrtlangen Gespräch in einem Berliner Taxi in diesen Tagen schafft, nicht Corona zu sagen, bekommt die Taxifahrt geschenkt – ganz aktuell beim WDR-eigenen Cosmo-Radio-Sender zu hören.
Ich lese, jüngere Leute um die dreißig (und auch noch jüngere) haben mehr Angst vor SCV als ältere. Kein Wunder, denke ich. Denn ihr Leben dauert auch noch viel länger. Sie starten vielleicht gerade mit Familie oder Jobs, nach dem Studium. Oder verlieren ihre Jobs wegen SCV. Sie sollen auch noch Schuld sein, weil sie „zu viele“ soziale Kontakt haben. Differenzierungen fallen hinten rüber. Hier auch. Es ist ein Gedankenfluss. Und das Gute daran, er verbindet mich mit so vielen Menschen, die das Hintergrundrauschen nicht ausschalten können, wie ich. Profession hin oder her. Also schreibe ich darüber.
Alle publik gemachten Gedanken sind dennoch nur Gedanken, Hypothesen, Vermutungen, Erklärungsversuche für das, was gerade unser aller Leben beeinflusst. Ständig neue Ideen, wer Schuld ist, was zu tun ist, wer die Deutungshoheit haben soll, was noch sein darf und was nicht. Und auch die Fiesesten sind aus ihren Löcher gekrochen und reden mit. Wer die sind? Die, die Hassreden und Fakes verbreiten, die trennen wollen, die verurteilen wollen, die zerstören. Wut und Hass kann so ansteckend sein. Aber Mut und Vertrauen auch! Sieht man auch in der ganzen Welt, dass es von diesen mutigen Menschen so viele gibt. Wie gut das tut! Und gut ist auch zu wissen, dass hinter Gefühlen wie Hass und Wut vor allem Angst, Unsicherheit, Schmerz, Einsamkeit liegen. Das macht mich mitfühlend und verbindet mich.
Und das Grübeln geht weiter – die Frage nach dem Job, nach den alten Eltern, den Kindern, Freunden, Kollegen. Darüber, wie die Welt sich verändern wird. SCV ist überall, in der ganzen Welt. Es dominiert sogar den US- Wahlkampf. Es gibt kein Entkommen. Oder doch?
Wenn das Grübeln einfach nicht aufhören will – dann hilft mir meditieren. Konzentration auf den Atem. Das beruhigt. Das erdet. Gedanken kommen und gehen lassen. Es sind nur Gedanken. Nicht daran festhalten, immer wieder zurückkehren zum Atem. Wenn das nicht klappt, zählen, verlangsamen. Sechs mal einatmen, zehn mal ausatmen. Beim Einatmen schlägt das Herz schneller, als beim Ausatmen. Wenn man länger ausatmet, verlangsamt das die Herzfrequenz, was den Körper beruhigt.
Gibt es auch beruhigende Worte oder Sätze? „Dem Leben vertrauen“ ist ein Satz, der bei mir wirkt. Ganz kurz jedenfalls. Dann kommt gleich danach aus der hintersten Gehirnecke: „Totaler Blödsinn. Wir werden alle sterben“. Ja klar. Stimmt. Ohne jeden Zweifel. „Aber nur an einem einzigen Tag. An allen anderen Tagen nicht“, antwortet Snoopy seinem Freund Schröder, als er wieder mal in trüben Gedanken versinkt. Und was noch?
Mein Kinderglaube (oder der meiner Mutter?) war, dass „ein lieber Gott es schon richten wird“. Das war immerhin bis zur Pubertät eine Vorstellung, an der ich mich gedanklich abarbeiten konnte. Doch mal im Ernst, woran könnte ich glauben? Als säkularisierte Westeuropäerin? Was könnten tröstende Gedanken sein in diesen Zeiten? Sofort fällt mir der Gelassenheitsspruch ein. Ja, tausend mal gehört. Doch noch immer wirksam. Hoffe ich. Ganz ohne Glauben klingt er so: „Ich wünsche mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Schön. Fast vollkommen. Oder?
Bei den anonymen Alkoholiker ist der Satz mit Gott verknüpft. Da heißt es, „Gott gebe mir die Gelassenheit ...“. Kann er das denn? Reicht der Glauben? Meiner Mutter schon. Mir nicht. Für mich gibt es keinen „Er“, der irgendetwas richten wird. Die „Er‘s“ in der Politik zum Beispiel – mal weltweit betrachtet – können sich gerade kein Ruhmesblatt anheften. Und die „Sie‘ s“ in der Politik? Wem fällt da nicht sofort Merkel ein. Gewaltfreie politische Sprache. Hassfrei, respektvoll, zugewandt. Es geht mir um die Worte, die Wortwahl, nicht um die politischen Positionen von Personen! Denn das hier ist ein politikfreier Artikel. Nein, auch Quatsch.
Denn wir sind immer auch politisch. Sagt zum Beispiel Peter. F. Schmid. Oder sagte. Denn er ist erst vor Kurzem gestorben. Seine Worte, seine Texte haben mich viele Jahre begleitet, begeistert – und tun es weiterhin. Sein Tod, der Verlust, hat mich sehr berührt. Obwohl ich ihn nur einmal persönlich getroffen habe, zu einem Workshop vor Jahren. Er hat einen letzten Artikel geschrieben - zur aktuellen Pandemie. Zu finden unter dem LINK : http://www.pfs-online.at/1/seuche.pdf. Darin heißt es:
„Wir sind— die allermeisten erstmals in unserem Leben — mit einer Seuche konfrontiert. Etliche von uns sind krank (siech), ohne es zu wissen, und machen krank, ohne es zu ahnen. Die Gefahr ist unsichtbar und lautlos. Paradoxerweise sollen wir zusammenstehen, aber keinesfalls sollen wir zusammen stehen. Dies wird social distancing genannt – ein völlig verfehlter, ja kontraproduktiver Ausdruck, weil es um körperliche, nicht um soziale Distanz geht.“
Und er sagt in klaren Worten, was Fakt ist, was Fakt war und was Fakt bleibt: „Die Maßnahmen müssen letztlich so lange aufrechterhalten werden, bis die (vorübergehende?) „Herdenimmunität“ greift oder es eine Impfung gibt.“
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